Von der großen Bedeutung des künstlerischen Ausdrucks
© Text: Iris Hammermeister
© Foto: Pixabay
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Stimmapparat & Schoßraum – eine alte heilige Verbindung
Mein Weg mit der Stimme begann schon früh: Ich kann mich erinnern, dass ich die Musik schon immer liebte. Wenn ich sie hörte, war ich in einer anderen Welt. Sie half mir zu überleben. Sehnsüchtig lauschte ich den benachbarten Kindern beim Üben ihres Instruments. Meine Sehnsucht wurde nicht gesehen oder erkannt. Musik oder Kultur spielte in meiner Familie keine Rolle. Meine Eltern waren so sehr mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt, dass sie die Bedürfnisse von drei kleinen Mädchen nicht wahrnahmen. Ich träumte jedoch schon früh vom Singen und sah mich auf der Bühne.
Ich war ein lebendiges Kind, frech, laut und lachte sehr viel. Meinen Vater provozierte ich gerne, der jedoch keinen Spaß verstand. Als Flüchtling während des zweiten Weltkrieges kämpfte mein Vater um sein nacktes Überleben. Was er da sah, ließ ihn bis zu seinem Tod nicht mehr los. Diese Bilder beschrieb er immer und immer wieder. Er hatte als Kind viel hungern müssen und die Beziehung zu seinem eigenen Vater war äußerst angespannt. Dieses lachende quietschlebendige Mädchen haben meine Eltern nicht ertragen. Traumatisierte Eltern halten keine Kinder aus, die vor Lebendigkeit strotzen, weil sie damit an ihre eigene verlorene Lebendigkeit erinnert werden. So gab es eine Situation mit meinem Vater, die dazu führte, dass ich aufhörte zu lachen und zu sprechen und den Ernst des Lebens erkannte. Das war der Grundstein meiner Schilddrüsendysfunktion, aber auch dem Glauben, dass ich nicht Lachen und Freude empfinden darf.
Größte und stärkste Wunden sind im kreativen Ausdruck.
Es ist also kein Zufall, dass ich heute mit der Stimme arbeite, die ich selbst als Kind mit ca. 4 oder 5 Jahren verlor. Mein eigener Ausdruck wurde zutiefst verletzt. Ich begann zu schweigen und mein ganzes Wesen zu unterdrücken. Das war der Beginn meines Überlebensprogramms. Nicht gesehen werden und keinen eigenen Raum für die eigene Entwicklung bekommen zu haben, führen zu einem verletzten kreativen Ausdruck. Das genau passiert bei einem Bindungs- oder Symbiosetrauma. Die Bedürfnisse des Kindes werden schon früh nicht adäquat befriedigt, weil die Mutter aufgrund ihrer eigenen Traumatisierung keinen emotionalen Kontakt zum Kind aufbauen kann. Das Kind versucht immer wieder den Kontakt zur Mutter zu finden und bekommt keine Resonanz. Man könnte auch sagen, dass das Leben mit dem Lied zwischen Mutter und Kind beginnt. Das Kind singt das Lied immer ieder und erfährt keine Resonanz. Es geht mit seinem Kontakt immer nach Außen und läuft ins Leere. Das bedeutet auch, dass es den Kontakt nach Innen bzw. zu sich selbst schon sehr früh verliert, weil der Kontakt zur Mutter überlebenswichtig ist. Um diesen zu bekommen, verlässt das Kind sich selbst und verliert sich im Außen. Ohne einen Spiegel haben wir keine Möglichkeit zu wachsen und zu reifen. Oftmals übernehmen diese Kinder die Rolle ihrer Eltern und versorgen emotional Mutter und/oder Vater. Damit verzichten sie komplett auf ihre eigenen Bedürfnisse, sind unglaublich überfordert und einsam.
Prof. Ruppert spricht hier von einem kollektiven Trauma, von einer traumatisierten Gesellschaft.1 Ich kann das nur bestätigen und glaube, dass wir fast alle mehr oder weniger von einem Bindungs oder Symbiosetrauma betroffen sind. Viele, die besonders stark betroffen sind, finden sich später in helfenden, sozialen, heilenden oder therapeutischen Berufsfeldern. Das Bindungs- oder Symbiosetrauma ist auch gekennzeichnet von Abhängigkeitsmustern oder auch von einer Co-Abhängigkeit. Prof Ruppert sprach in einem Interview davon, dass ca. 95% der in den oben genannten Arbeitsfeldern Tätigen coabhängig sind. Damit wird das Überlebensmuster im beruflichen Kontext fortgeführt.2
Singen ist Selbstfürsorge pur!
Was wir alle nicht gelernt haben, ist gut für uns selbst zu sorgen. Als ich wieder zu singen begann, fühlte ich, wie es mich nährt und zwar von innen.
Ich hörte auf zu suchen und begann zu finden. Das war eine wichtige Umkehr in meinem Leben. Mein Hunger nach Lebendigkeit, Freude und Leichtigkeit begann ich mit dem Singen zu stillen. Zu dieser Umkehr gehörte der Weg nach innen, den ich über meine Stimme anfing zu beschreiten und ich habe auch erfahren, dass die Stimme Raum braucht, damit sich ihr Klang entfalten kann. Es gibt keine Techniken oder Methoden, die nur die Stimme ausbilden können. Stimmbildung beginnt im Körper!
Das Wort Trauma beinhaltet Traum und RAUM: T-RAUM-A
Ich begriff, Trauma ist ein nicht endender Traum und mangelnder RAUM. Ohne Raum gibt es auch keinen Zwischenraum. Ohne Raum und Zwischenraum sind wir identifiziert mit den traumatischen
Erlebnissen (unserer Eltern, Ahnen, …) und haben noch nicht erkannt, dass die Zeit des TRAUMAS vorbei ist.
Stimmapparat & Schoßraum – eine alte, heilige Verbindung
Vor vielen Jahren hatte ich ein Erlebnis, welches mir zeigte, worum es in meiner Arbeit mit der Stimme wirklich geht. Ich war bei einem Ausbildungswochenende in Obertongesang. Der Obertongesang war wieder mein Einstieg zum Singen. Es war, als ob sich ein Fenster öffnete und ich weilte in einem Zustand, in dem ich erkannte, dass alles was wir suchen, bereits in uns ist. Dieser Zustand hielt gut zwei Wochen an. Ich sah viel farbintensiver und es leuchtete alles in hellem Licht. Ich hörte, roch und schmeckte viel intensiver. Es war, als wenn ich das erste Mal richtig sehen und mit allen Sinnen wahrnehmen könnte. Ich war tief verwurzelt mit der Erde, war ganz tief mit meiner Gebärmutter und meinem Beckenboden verbunden, fühlte die starke Verbindung zwischen der Gebärmutter und Mutter Erde. Ich fühlte mich als ein Kind von Mutter Erde, der großen Mutter. Es war Frieden, tiefe Ruhe in mir, keinerlei Ängste, alle körperlichen Funktionen arbeiteten uneingeschränkt. Ich hatte keinerlei Symptome oder Beschwerden mehr, was meine Schilddrüse anbelangte. Es war, als ob der Stecker wieder in der Steckdose steckte und alle Verbindungen in meinem Körper wieder angeschlossen waren. Nicht nur die Netzwerke in meinem Körper waren wieder ausbalanciert, auch ich erlebte mich als Teil des Universums, als ob ich an den Kräften des Universums angeschlossen war. Es gab keinerlei Trennung. Ich war der Baum und der Baum war ich. Ich begriff, dass es Gott außerhalb von mir nicht gibt, sondern ich Gott bin, alles Gott ist, jede Pflanze, jeder Baum, alles. Ich erfuhr, dass Gott in mir zu finden ist, wenn es so was wie Gott gibt. Ich begriff auch, dass es den Tod nicht gibt, sondern wir nur die Form verändern. Ich begriff, dass das Paradies bereits da ist und ich es nun sehen kann. Die Farben waren so bunt, so intensiv, die Musik so wunderschön. Das müssen Menschen erfahren, die ein Nahtoderlebnis haben, dachte ich. Es gab nur das JETZT und ich war mit allem einverstanden, mit meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart und meiner Zukunft und vor allen Dingen mit mir. Ich konnte mich vollkommen so annehmen, wie ich bin. Der Kampf, der Krieg gegen mich hörte auf. Es war unbeschreiblich, unvergesslich und ich war ganz da, ganz in meiner Präsenz, ganz geerdet und gleichzeitig mit dem Universum verbunden. Es hat Jahre gedauert, bis ich begriffen hatte, was da mit mir passierte. Als ich meiner Medizinfrau davon berichtete, jubelte sie und sagte zu mir: Komm Iris, das müssen wir feiern! Sie hatte mir nie erklärt, was da passierte. Meine Erfahrung ist, dass die Schamanen mit indigenen Wurzeln nicht über die Dinge sprechen. Was ich jedoch wusste, war, dass ich nach Hause gekommen war und das dies mit der Verbindung zwischen Stimmapparat und Schoßraum zu tun hatte, denn ich war vollkommen frei und erinnerte mich, wer ich wirklich bin. Kurz darauf erhielt ich die Botschaft, dass die Stimme die stärkste Medizin der Zukunft sein wird. Sie ist die älteste Medizin und wird nun wieder erinnert.
Über die Stimme nach Hause kommen …
In meiner Stimmarbeit geht es heute darum, die heilige Verbindung zwischen Stimmapparat und Beckenboden (Schoßraum) wiederherzustellen. Im Grunde ist sie schon da, wir müssen sie nur erinnern. Ich habe viele Methoden auf meinem Heilungsweg ausprobiert, aber nichts war wirkungsvoller als das Singen oder Tönen; die Stimme führt uns in die absolute Tiefe. Sie vermag tiefsitzende alte Muster aufzulösen und wird in ihrer Wirkung immer noch völlig verkannt. Häufig sieht man sie als Beiwerk oder als unterstützendes Medium für eine andere Behandlung. Die Verbindung zwischen Stimmapparat und Schoßraum trägt das größte Potential der Wandlung, der Erinnerung und des nach Hause Kommens. Heilung ist für mich nichts anderes als Erinnern.
Parallelorgane und Parallelprozesse
Weibliches Geschlechtsorgan und Stimmapparat
Die Ähnlichkeit zwischen dem weiblichen Geschlechtsorgan und dem Stimmapparat ist frappierend. Es gibt hier nicht nur Parallelorgane, sondern auch Parallelprozesse. Das bedeutet, wenn ich mit dem Stimmapparat arbeite, geschehen parallel Prozesse im Schoßraum und umgekehrt.
Es gibt folgende Parallelorgane:
Innenohr – Eierstöcke
Eustachische Röhren – Eileiter
Gebärmutter – Mundraum
Muttermund – Mund
Zunge – Klitoris/Eichel
Kehlkopf – Vagina/Penis
Zu den Parallelorganen gehören parallele Muskelgruppen und Faszien.
Das männliche Geschlechtsorgan ist letztendlich nur nach Außen gedreht, was ja auch zur männlichen Eigenschaft gehört. Das Männliche geht nach Außen und das Weibliche nach Innen. Jedoch fehlt den Männern ein entscheidender Raum und das ist die Gebärmutter, der erste und wichtigste Beziehungsraum. Deshalb fühlen sich Frauen mehr für die Beziehung verantwortlich als Männer.
Singen nährt uns und führt zurück in die pränatale Zeit
Wenn wir uns dieser wichtigen Verbindung zwischen Stimmapparat und Schoßraum bewusst werden, wird klar, dass das Singen unweigerlich zu unserer eigenen pränatalen Zeit zurückführt. Nicht nur das, wenn der Kehlkopf ungehindert frei schwingen kann, kommt er in diesen Zustand, der mit der pränatalen Zeit zu vergleichen ist und birgt das Potential des Versorgtseins, Genährt- und Beschützt-Seins und der Selbstregulation. Das bedeutet, dass er in diesem Zustand uns genau das zu geben vermag, wonach wir schon lange suchen, und was wir bei einem Bindungs- und Symbiosetrauma schmerzlich vermissten.
Der Unterschied ist, dass wir dieses Genährt- und Beschützt-Sein von unserer Mutter in ihrem Bauch bekommen haben. Beim Singen geben wir es uns selbst. Ungeachtet dessen, wie die Beziehung zwischen Baby und Mutter sich entwickelt, wird das Kind über die Nabelschnur genährt, es schwebt im Wasser und alle Prozesse regulieren sich von alleine. Im Bauch der Mutter waren wir in einem Zustand von Sog – nicht umsonst gibt es das Wort Säugling, was an Saugen erinnert.
In meiner Stimmarbeit geht es immer wieder darum, sensorische Stimulationen von Sog auszuüben, so dass wir den Kehlkopf in seinen ursprünglichen Zustand von Sog zurückführen. Das Kind ist im Bauch der Mutter mit ihr verbunden und wird von ihr versorgt. Ansonsten wäre das Kind nicht lebensfähig. Prof. Hüther sagt, dass es bei chronischen Krankheiten so wichtig ist, an die vorgeburtliche Zeit anzuknüpfen, in eine Zeit, in der es noch keine negativen Verschaltungsmuster gab.3 Genau dies tut jedoch das Singen, weshalb das Singen gerade für chronisch kranke Menschen von elementarer Bedeutung ist. Die Neurobiologie hat erforscht, dass die negativen Verschaltungsmuster und Synapsen in den ersten Lebensjahren gebildet werden, je nachdem, welche Erfahrungen ein Kind in seinem Umfeld macht. Festgestellt wurde auch, dass der Körper das Gehirn formt und nicht umgekehrt, weshalb wir neue Verschaltungen auch nur über den Körper und neue Erfahrungen erreichen können. In meiner Stimm-Balance© Prozessarbeit werden genau diese Faktoren berücksichtigt. Die neurobiologische Wirkung des Singens zeigt sich insbesondere bei neurodegenerativen Erkrankungen.
Der Kehlkopf – ein Wunderwerk
Der Kehlkopf ist ein autonomes Organ und ist mit allen Funktionen der Organe verbunden. Bei der Stimm-Balance Prozessarbeit kommt es zu Rückkoppelungen zwischen dem Kehlkopf und dem Gewebe. Die Rückkoppelung als Resonanz zu verstehen wird daher so wichtig. Bei einem Bindungstrauma fehlt die Resonanz auf das Lied des Kindes. In meiner Arbeit kommt es nun zu Resonanzen im ganzen Körper, so dass die Beziehung zwischen den verschiedenen Organen und Netzwerken erinnert wird. Wenn klar wird, dass alles in Beziehung zueinander ist und genauso die Natur funktioniert, wird deutlich, dass wir mit einem Bindungstrauma keine Beziehungen lernen und pflegen konnten (insbesondere zu uns selbst), weil wir keinen eigenen Raum bekommen haben. Beziehungen sind nichts anderes als Zwischenräume. Dazu braucht es jedoch Individuen, Menschen mit eigenen Identitäten und gelebte Autonomie. Der Kehlkopf kann als autonomes Organ diese Zwischenräume erlebbar machen, so dass wir tatsächlich fühlen, wie unser Gewebe immer lebendiger wird, wir in unsere Freude kommen und wir uns damit selbst ermächtigen. Wir machen die Erfahrung, dass wir über die Stimme sofort und einfach unsere Empfindungen verändern können. Er führt uns in eine Autonomie und Lebendigkeit, denn Trauma ist nichts anderes als die verlorene Lebendigkeit.
Kreativität und Ausdruck
In unserer Gebärmutter sitzt die Kreativität. Geschlechtsorgane stehen für die Selbstverwirklichung. Der Halsbereich steht für Ausdruck – Selbstausdruck. Beides gehört unbedingt zusammen und kann nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Deshalb glaube ich, dass eine reine Schoßraumarbeit uns nur bedingt weiterhilft. Es braucht unbedingt die Verbindung von beidem. Wenn klar wird, wie sehr wir in unserem kreativen Ausdruck verletzt wurden, kann der Ausdruck nicht vernachlässigt werden und wo drücken wir uns am dichtesten und tiefsten aus – über die Stimme!
Im Schoßraum sitzt unsere Lebensenergie, die wir über unsere Zunge steuern. Wenn wir uns selbst keinen Ausdruck geben, verlieren wir unsere Lebensenergie. Und die Zunge steht für die Sprache. Es gibt Sprichwörter wie „Sich die Zunge abbeißen …“ Es geht nicht nur darum, dass wir unsere Stimme wiederfinden, sondern auch darum, sie zu erheben!
Standing und Aufrichtung
Wenn der Kehlkopf ganz frei schwingt und man nicht versucht, ihn zu beeinflussen, denn er ist willentlich nicht zu steuern, dann kommt es nicht nur zur Entfaltung seines Potentials im klanglichen Sinne, sondern wir haben den größten Zugang zu unserem Potential und unserer Kreativität. Dazu braucht es einen Beckenboden, der wieder in seine ursprüngliche Funktion der Stütze zurückgeführt wird: Eine Übung mit dem Beckenboden beispielsweise lautet, das Steißbein nach innen zu führen und das Schambein hochzuziehen und dabei zu tönen. Das führt dazu, dass eine innere Aufrichtung der Wirbelsäule geschieht, das Zwerchfell entlastet wird und nicht mehr die Aufgabe der Stütze übernehmen muss. Mit einem Beckenboden, der wieder stützt, haben wir einen festen Stand und sind geerdet. Das ist nur möglich, wenn der Psoasmuskel gedehnt und beweglich ist. Man nennt den Psoasmuskel auch Traumamuskel und Sitz der Seele. Mit der oben beschriebenen Übung kann man diesen dehnen.
Dann kommen wir in eine Haltung, die der natürlichen Erdanziehung entspricht. Das führt zu mehr Raum im Schoßraum, was für schwangere Frauen auch wichtig ist, denn erst dann bekommt das Baby im Bauch richtig Platz und kann ankommen. Mit einem Beckenboden, der stützt, kommen wir im Leben an. Die Psoasmuskelgruppe umschließt und beschützt den Schoßtraum, wir werden frei in unserer Atmung und Bewegung. In dieser Verbindung Schoßraum und Stimmapparat wird nicht nur die Selbstregulation aktiviert, wir sind angeschlossen an eine höhere Kraft und lassen ES durch uns singen. In diesem Zustand sind wir in einem ständigen Erschaffen und Gebären. Schwangere gebären so freudvoll ihre Kinder und andere gebären sich selbst und ihr Licht.
In dieser heiligen Verbindung spiegelt sich unsere Schöpfung und wir kommen nach Hause.
Anmerkungen
1 Prof. Dr. Ruppert: https://www.rubikon.news/artikel/traumatisiertegesellschaft (es handelt sich hier um ein Interview bei „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“ mit dem Titel: Traumatisierte Gesellschaft vom 1.9.2017)
2 Prof. Dr. Ruppert im Interview beim Online Selbstheilungssymposium, Schwerpunkt Sucht von Anne Blumenthal
3 Prof. Dr. Dr. Hüther, Gerald: Reaktivierung von Selbstheilungskräften aus neurobiologischer Sicht. Quelle: symptome.ch – Symptome und Ursachen von Krankheiten – Blog mit Tipps zu Gesundheit
Über die Autorin:
Iris Hammermeister ist ausgebildet in physiologischer Stimmbildung, Gesang, systemischer Familien- & Traumatherapie. Sie ist Autorin, Stimm- & Körperforscherin, Sängerin & Musikerin. Ihr besonderes Augenmerk liegt auf der Verbindung zwischen Stimmapparat und Schoßraum/Beckenboden. Ihr Anliegen ist es, Menschen über die Stimme nach Hause und Musiker zu ihrem kreativen Potential zu begleiten.
Copyright
Text © Iris Hammermeister
Grafik & Bilder © Petra Winkelhardt
Von Iris Hammermeister
Mein Forschungsgebiet liegt in der Verbindung zwischen Kehlkopf und unterem Beckenboden. Seit Jahren lehre ich über diese Verbindung und kann heute sagen, dass sie für mich das größte Potential für Wandlung darstellt. In dieser Verbindung spiegeln sich die Themen Bindung und Beziehung, die ein großes Wandlungspotential bereit hält.
Es gibt eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem Stimmapparat und dem weiblichen Geschlechtsorgan. Beim Stimmapparat gehören die Ohren bzw. das Innenohr dazu. Das Hören hat eine wichtige Bedeutung, wenn es um die Wandlung von alten Mustern geht. Letztendlich wandelt der Klang durch ein anderes Hören um. Wir hören nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit anderen Sinnesorganen, beispielsweise nimmt unsere Haut als größtes Sinnesorgan den Klang auf. Der Kehlkopf könnte als 6. Sinnesorgan betrachtet werden.
Meine Erfahrung ist, dass alle Veränderungen, die im Stimmapparat geschehen, auch parallel im unteren Beckenboden passieren oder umgekehrt. So kann man von parallelen Organen sprechen, wie beispielsweise Mund und Muttermund, Mundraum und Gebärmutter, Innenohr und Eierstock, Stimmlippen und Schamlippen, Kehlkopf und Vagina,…
Es ist kein Zufall, dass es diese Verbindung zwischen dem Kehlkopf und dem unteren Beckenboden gibt. Diese Verbindung besteht auch bei Männern in einer anderen Art.
Das bedeutet, dass die Stimme mit unserem Ursprung, mit unserem göttlichen Funken, mit unserer Lebensenergie, mit unserem Schöpfungsraum verbunden ist. Es ist auch kein Zufall, dass das weibliche Geschlechtsorgan so viele Parallelen zum Stimmapparat aufweist und das kollektive verletzte Weibliche im Schoßraum der Frauen verborgen liegt. Ich habe mich viel mit der Mutterwunde auseinandergesetzt und bin zum Ergebnis gekommen, dass das Singen Mütterlich ist, was uns wieder mit dem Gottesweiblichen verbindet, denn der Klang ist weiblich und der Ursprung des Universums.
Diese Verbindung spielt nicht nur eine große Rolle für den Fachbereich der Pränatalpsychologie, sondern auch für die Rückverbindung zur Essenz, die auch für Musiker und Künstler eine wichtige Grundlage des eigenen Schaffens ist. Ein Baby liegt im Bauch der Mutter genau in dieser Verbindung. Die Verbindung zeigt sich physiologisch über die Wirbelsäule und energetisch über ein Band, welches beides miteinander verbindet. Das Knochengewebe ist ein sehr schwingungsreiches Gewebe. Oben am Anfang der Wirbelsäule beginnt sie und unten im Schoßraum endet sie. Symbolisch stellt sie Anfang und Ende dar, Geburt und Tod. Die Wirbelsäule ist die Basis unseres Lebens. Das Knochengewebe ist das tiefste Gewebe, auf dem wir unser Leben aufgebaut haben. Oft geht es im Leben auch darum Rückrat zu haben und sich nicht brechen zu lassen, also wie stabil sind wir und stehen wir für uns selbst ein?
Wenn wir nun eine schwierige Mutterbindung erfahren haben, die letztendlich aufgrund der patriarchalen Kultur normal ist, geht es hier ja immer um das Gefühl der mangelnden Verbindung oder dem Gefühl des Getrenntseins. Das Singen bzw. die Stimme kann jedoch daran erinnern, dass wir in einer Verbindung waren und Trennung eine Illusion ist. Egal wie schwer eine Mutter traumatisiert war, das Kind ist im Bauch der Mutter immer mit ihr verbunden, sonst wäre es nicht lebensfähig, denn die Mutter versorgt das Kind auch über die Nabelschnur.
In dieser Zeit und in den ersten Lebensjahren formt der Körper das Gehirn. Erst später werden Synapsen im Gehirn gebildet, die davon abhängig sind, welche Erfahrungen das Kind in seinem Beziehungsgefüge gemacht hat. Das Gehirn schafft Netzwerke und Verschaltungen anhand der gemachten Erfahrungen (Bindung & Beziehung). Wenn diese überwiegend negativ waren, wovon bei einer traumatisierten Gesellschaft und der transgenerationalen Weitergabe von Traumata auszugehen ist, wird das Schmerzzentrum im Gehirn gebildet. Dieses ist vor allen Dingen im Ruhezustand aktiv und bei chronisch kranken Menschen besonders stark. Das bedeutet, dass negative Gedanken ständig im Kopf kreisen, die wiederum negative Gefühle wie Angst und Schmerz zur Folge haben. Das Gehirn sendet in den Körper bestimmte Botenstoffe, die süchtig machen, also das Suchtzentrum im Gehirn ansprechen. Der Körper schreit förmlich nach diesen Botenstoffen, wenn er diese nicht bekommt, so dass das negative Denken und Fühlen auch zu einem Zwang geworden ist, den man nicht so einfach abstellen kann. Diese Denkstruktur sichert das Überleben, so dass sich das Gehirn in einem anhaltenden Überlebensmodus befindet. Diese Synapsen bzw. Negativ-Verschaltungen verhindern jedoch die Aktivierung der Selbstheilungskräfte. Sie verdecken den ursprünglichen Zustand der Verbindung und Erschweren ein Herankommen an die frühe pränatale Phase, in der diese Synapsen noch nicht vorhanden waren. Manchmal verhindern diese Negativ-Verschaltungen auch das Empfinden von Schmerz, gerade bei chronisch kranken Menschen. Die Folge ist das Nicht-Wahrnehmen, dass etwas nicht in Ordnung oder aus dem Gleichgewicht geraten ist. Bei einer chronischen Erkrankung findet keine Selbstorganisation der Selbstheilungskräfte mehr statt, der Körper ist überfordert.
„Die im Lauf unseres bisherigen gemachten Erfahrungen im Leben von Unverbundenheit, von Unvereinbarkeit, Unverständnis und Hilflosigkeit müssen durch solche Erfahrungen überlagert werden, die an ursprünglich, zumindest, während der frühen Kindheit vorgeburtlich oder postnatal gemachte Erfahrungen von Kohärenz, von Verbundenheit und von eigener Gestaltungsfähigkeit anknüpfen.“ * Siehe Quellenangabe
Das bedeutet, dass die Verbindung zwischen Kehlkopf und unterem Beckenboden über die eigene Stimme ermöglicht, an die Verbindung zur Mutter in der vorgeburtlichen Zeit zu erinnern und ein ungeheures Potential darstellt. Somit auch für chronisch kranke Menschen die Möglichkeit besteht, ihre Selbstheilungskräfte wieder zu aktivieren und an die gemachte Erfahrung von Verbundenheit dieser vorgeburtliche Zeit anknüpfen können. Wir verbinden uns mit dem älteren Teil des Gehirns zurück und können damit die später entstandenen Verschaltungen durch negative Erfahrungen in den Beziehungen umgehen.
Um den Teufelskreis der Negativ-Verschaltungen zu unterbrechen müssen neue Synapsen und Verschaltungsmuster im Gehirn gebildet werden. Dazu braucht es positive Erfahrungen, die den Körper miteinbinden, auch das Zusammenspiel zwischen Körper, Psyche und Denken. Es muss das was bereits gut funktioniert weiter ausgebaut werden. Dazu gehört auch, dass die Person einen Raum bekommt und gesehen wird, die Erfahrung macht etwas Besonderes zu sein, also ein Individuum, ein Subjekt. Positives Denken, Affirmationen, Glaubenssätze umprogrammieren, kognitive Angebote – dazu gehören auch therapeutische Angebote – können keine nachhaltige Veränderung bewirken.
Die Stimm-Balance Prozessarbeit beinhaltet alle wichtigen Aspekte der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Neurobiologie. Über die differenziert geführte Stimulation werden Beziehungen (Zwischenräume) zum Klang-, Körper-, und Nervensystem aufgebaut. Es geht hier immer um die Schaffung von Zwischen-Räumen, in der sich die Selbstorganisation der Singstimme und des Körpers entfalten kann. Zwischen-Räume schaffen bedeutet nichts anderes als Beziehungen zu ermöglichen (weibliches Prinzip!), in denen lebendige Prozesse geschehen können. Der Organismus bzw. die Selbstheilungskräfte reorganisieren sich selbst. Der Fokus liegt auf das was bereits da ist (Tonumfang, Klangvolumen, sensorische Wachheit,…) und gut funktioniert und wird weiter ausgebaut. Die Stimm-Balance ist erfahrungsbasiert und ermöglicht so die Bildung neuer Synapsen. Zudem wird beim Singen die rechte Gehirnhälfte (Zuständig für Gefühle, Intuition,…) aktiviert, als auch die linke und rechte Gehirnhälfte miteinander verbunden. Die Stimulation der Sensomotorik befördert die Erinnerung an die Zeit der Verbundenheit in der vorgeburtlichen Zeit. Zudem schüttet das Singen Oxytocin aus, ein Glückshormon, welches auch während der Schwangerschaft, Geburt und beim Sterben ausgeschüttet wird.
Im Beckenboden ist unser Zuhause, der Ort der Kreativität. So sehe ich auch für die Kreativitätsentwicklung und im künstlerischen Wirken eine wichtige Aufgabe die Verbindung zum Beckenboden aufzunehmen. Im Schoßraum entsteht Leben, also Schöpfung pur, in der wir immer wieder neu erschaffen und kreieren. Die Verbindung zwischen Kehlkopf und Beckenboden gleicht also dem Schöpfungsprinzip des ständigen Erneuerns und Vergehens. Dort treffen sich Gebären und Sterben und es ist kein Zufall, dass das Oxytocin genau beim Singen, Sterben und Gebären ausgeschüttet wird…
Quellenangabe:*
Titel: Reaktivierung von Selbstheilungskräften aus neurobiologischer Sicht“,
Autor: Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther,
Quelle: symptome.ch – Symptome und Ursachen von Krankheiten – Blog mit Tipps zu Gesundheit
© Text Copyright Iris Hammermeister
© Bilder Copyright Improphysis® – Iris Hammermeister
Lehrmaterial – Improphysis® – Stimm-Balance
Nutzung des Bildmaterials nicht erlaubt!
Das Institut für angewandte Improphysis® bietet eine Ausbildung in Stimm-Balance an, die im September 2018 startet. Hierbei geht es auch im die Verbindung zwischen Stimmapparat und Beckenboden, als auch um Bindung und Beziehung.
Eine Fortbildung in Stimm-Balance für Fachfrauen aus der Pränatalpsychologie und Bindungsanalyse ist derzeit in Vorbereitung.
Demnächst finden Sie weitere Artikel zu den Themen:
“von herzen danke für das erleben von klangheilkraft (wieder einmal 🙂 ) . ich hatte im vorhinein schon gespürt, dass ich einen wichtigen weiteren schritt für die heilung meines körpersignals in deinem seminar finden könnte. und so ist es geschehen.”
Eine Teilnehmerin des Seminars “Stimme & Schilddrüse – Singe Deine Wahrheit!”:
liebe iris,
von herzen danke für das erleben von klangheilkraft (wieder einmal 🙂 ) . ich hatte im vorhinein schon gespürt ,dass ich einen wichtigen weiteren schritt für die heilung meines körpersignals (krebszellen-gebärmutter-eierstöcke) in deinem seminar finden könnte. und so ist es geschehen. gestern sehr ko auf der körperlichen ebene (das reisen war too much ,habe ich aber gerne auf mich genommen ) aber tief befriedet ,geerdeter und irgendwie “dichter”…
ich mag es sehr ,wenn durch “kleine ” großigkeiten wie ein einziger ton ,tiefste wirkung geschieht. so wie bei mir ,unerwartet diese heilsame trauer und erschütterung im klang raum fand. auch bei allen anderen frauen mitzuschwingen ,resonanzen zu spüren ,ja sich selbst auf die spur zu kommen…DANKE .
mir ist achtsamkeit und wertschätzung und gesehen werden so kostbar …danke ,dass du all dies lebst…
den zusammenhang zwischen krankheit und gespeicherten kriegserinnerungen hatte ich schon in meinen inneren prozessen gefunden, bei weitem nicht in der dimension ,in der du forschst . es hat so gut getan darüber zu hören ,und tröstet den anteil in mir ,der mit all seinen kräften immer wieder intensivst alles getan hat ,um dieses kranksymptom aufzulösen .
meine mutter und ihre schwester sind im 2. weltkrieg mehrfach von russischen soldaten vergewaltigt worden und haben nie jemanden davon erzählt …auch gegenseitig nicht mehr miteinander darüber gesprochen .habe ich erst vor ein paar jahren von meiner mutter erfahren und hat dazu beigetragen ,dass ich eine neue begegnungsebene mit ihr leben dufte.
ich selbst habe innerfamilär mißbrauch erlebt und konnte als 40 jährige mich wiedererinnern . es ist mir gelungen den kreislauf zu durchbrechen ,indem ich es offengelegt habe und heute im frieden damit sein kann. mit tiefer dankbarkeit und dem verstehen,dass ich das auch für meine kinder und enkelkinder heilen konnte.
so gehört jetzt auch deine klangarbeit und forschung als mutstein mit dazu.
jeden schritt den ich gehe ,um gewalt an frauen und mädchen über viele viele leben zu befrieden nährt so so sehr mein tiefstes bedürnis nach wandel im miteinander von mann und frau .
von herzen danke ,dass dich und deine arbeit kennenlernen durfte.
alles liebe
doris
“Liebe Iris, von Herzen Danke. Für mich war es am Samstag eine universelle Reise. Scheinbar sprechen die Frequenzen etwas sehr Altes in mir an, ich bekomme so Zugang zu einer universellen Kraft, die über Klänge kommuniziert. Von Verstand her schwer fassbar, nicht leicht dafür Worte zu finden.
Eine Ursprungssprache, eine universelle Sprache, der Klang.”
“Liebe Iris, -fast- ohne Worte, dafür mit Klang beschenkt. Ich bin noch immer ganz nachhaltig beeindruckt und am Staunen. Für mich ist das Tönen ein Schlüssel, um auf andere Ebene wahrnehmen zu können, in der Worte zwar beinhaltet sind, aber doch etwas begrenzt. “
“Du hast mir einen Schlüssel in die Hand geben können zu Räumen, von denen ich bislang nicht wusste das Sie existierten. Vielleicht ist dies die vierte Dimension, zumindest eine zusätzliche Dimension, der Klang. Ich fühle mich immer noch ziemlich nüchtern und dabei ungewohnt, frei. Und anders frei, als ich mir vor-stellte, was Freiheit sein könnte.”